Häuser stiften Identität – Konstanzer Workshop zur spätmittelalterlichen Stadtkultur
12. Dezember 2007
Konstanz, 12. Dezember 2007: Mobilität ist nicht erst ein modernes Phänomen; im späten Mittelalter beispielsweise prägte sie die Städte in einem Ausmaß, wie wir es uns heute kaum mehr vorstellen können. Um sich in die städtische Kultur einzufügen, zu integrieren, mussten Neuankömmlinge gegebenenfalls bereit sein, Teile ihrer alten Identität abzulegen und sich eine neue anzueignen. Dies konnte nicht nur über Kleidung, Häuser, Arbeitsgeräte, sondern auch mit Hilfe von Namen und Zeichen, die beispielsweise auf das eigene Haus verwiesen, erfolgen.
Eine Gruppe von Mittelalterforschern an der Universität Konstanz – Prof. Dr. Gabriela Signori, Dr. Christof Rolker, Karin Czaja und Kathrin Stutz – befasst sich im Rahmen des Projekts „Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung“ mit der Frage, wie sich soziale Identität in spätmittelalterlichen Stadtgesellschaften formte. Der Workshop „Haus und Identität“ bot den Konstanzer Wissenschaftlern die Gelegenheit, das Forschungsprofil des Projekts zusammen mit Gästen wie u.a. Prof. Dr. Hans-Jörg Gilomen (Universität Zürich), Prof. Dr. Wolfgang Schmid (Universität Trier) und Dr. Oliver Richard (Universität Straßburg) zu schärfen. Insbesondere sollte auch der internationale Austausch mit der Schweiz und Frankreich gefördert werden. Das Projekt wird vom Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz gefördert.
Häuser als Identitätsträger
Angesichts ständig wechselnder Bewohner gewann der Hausname in den spätmittelalterlichen Stadtgesellschaften als stabiles Element an Bedeutung: er diente dem Grundherrn als bevorzugtes Mittel der Identifizierung. Ging es jedoch ums Eintreiben der Steuern, rechnete der Steuerschreiber den einzelnen Steuerpflichtigen als ökonomische Einheit. Dass Haus und Person mit unterschiedlichen Wirtschaftsformen zusammenhingen, zeigt, dass man sie in der spätmittelalterlichen Stadt als verschiedene Entitäten betrachtete.
Dennoch wurden Haus- und Nachname nicht immer unabhängig nebeneinander geführt, sondern flexibel – wie die Namensgebung überhaupt – gehandhabt, gegebenenfalls auch vertauscht. Manch neuer Bewohner nahm selbst den Hausnamen an, oder aber taufte das neue Haus um, etwa nach seinem Herkunftsort. Die aktive Umbenennung lässt darauf schließen, dass Häuser und ihre Namen eine Identität stiftende Rolle spielten.
Besonders augenfällig ist die Verwobenheit von Haus, Name und Identität bei den städtischen Oberschichten. Ob sie nun, wie die Straßburger zu der Megede, den Namen des Erbhofes über Generationen als Identifikationsmerkmal mit sich trugen und vererbten, oder ihren Namen dem Haus aufprägten, wie die Basler Familie Münch, das Haus nahm einen wichtigen Platz in der spätmittelalterlichen „Subjektkultur“ ein.
Hausnamen und Erinnerungskultur
Mit einer Stiftung konnte man schon zu Lebzeiten dafür sorgen, der Nachwelt in Erinnerung zu bleiben, wie Gabriela Signori im Rahmen des Workshops erläuterte. Denn ein gestifteter Gebäudekomplex trug fortan den Namen des Stifters, wie zum Beispiel die 1514-1523 erbauten „Sozialwohnungen“ der Augsburger Fuggerei. Gerade kinderlose Familien der städtischen Oberschicht sicherten so gerne den Fortbestand ihres Namens. Nicht immer geschah dies mittels Neubauten; häufiger übertrugen diese Familien einfach ihre bereits bestehenden Häuser. Der Basler Ludwig Kilchmann und sein Sohn Hans beispielsweise stifteten ihren Besitz inklusive ihres Stammhauses im Stadtteil Kleinbasel für eine Elendenherberge. Im späten Mittelalter hatte fast jede größere Stadt im Reich mindestens eine dieser Herbergen, die armen Pilgern Unterkunft boten.
Stiftungszwecke rangierten von Armenhäusern über Herbergen für konvertierte Juden bis hin zu Pfründen für betagtes Hauspersonal oder Handwerker. Bis ins 13. und 14. Jahrhundert geht der Brauch zurück, Almosen-, Gottes- oder Seelhäuser zu stiften. Diese Einrichtungen für arme Schwestern oder Patres waren an die Bedingung geknüpft, für die Seele des Stifters zu beten.
So vielfältig ihre Zwecke auch waren, sämtliche Stiftungen verbindet die Absicht des Spenders, sein Haus – mitunter das Stammhaus seiner Familie – einem karitativen Zwecke zuzuführen. „So eng wie der Bezug zwischen Besitzer und Haus,“ erklärte Gabriela Signori, „war dann auch der Bezug zwischen dem Stifter und den neuen Hausbewohnern, die oftmals täglich die Erinnerung, die memoria des Stifters am Leben zu halten hatten.“ Darüber hinaus seien Stiftungen Ausdruck einer Kultur, in der die Armen noch einen zentralen Platz einnahmen, nicht am Rand der Gesellschaft, sondern mitten drin, eben in ehemaligen Bürgerhäusern.